Jüdisches Leben in Deutschland

Grundsätzlich ist das Judentum eine Religion, das heißt aber nicht, dass alle Juden auch wirklich religiös sind. Es gibt sehr viele verschiedene Arten von Jüdischsein. Es gibt religiöse Juden, die nach orthodoxem, konservativem oder liberalem Ritus leben, es gibt sog. Ultraorthodoxe. Und es gibt natürlich säkulare Juden, also Juden, denen Religion nicht wichtig ist. Manche feiern nur einige wenige Feiertage, wie Pessach und Jom Kippur, anderen ist auch das nicht wichtig.

Manche Juden fühlen sich durch ihren kulturellen Hintergrund jüdisch. Sie sehen ihr Judentum ein bisschen wie einen Rucksack, den sie stets mit sich tragen und der eine ganze Menge an jüdischem Erbe und Familiengeschichte enthält. Manchmal ist dieser Rucksack vielleicht auch eine Last, aber immer enthält er die wichtigen Teile, die die jüdische Identität bestimmen.

Jüdisches Leben in Deutschland existiert seit mindestens 1700 Jahren. Im Jahr 321 hat der römische Kaiser Konstantin ein Edikt erlassen, worin er festlegte, dass Juden künftig städtische Ämter in der Kurie und den Verwaltungen der Provinzstädte ausüben dürfen. Dieses an die Kölner Stadtvertreter gerichtete Dokument ist das früheste, das die Existenz von Jüdinnen und Juden nördlich der Alpen beweist. Im Jahr 2021 wurde daher das Jubiläum 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland gefeiert.

Heute leben in Deutschland etwa 200.000 Jüdinnen und Juden. So genau weiß man es nicht, weil nicht alle von ihnen auch Mitglied in einer jüdischen Gemeinde sind und daher nicht exakt gezählt werden können.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland, das ist ein Dachverband von jüdischen Gemeinden, gibt an, dass 2019 knapp 95.000 Jüdinnen und Juden Mitglieder in den Gemeinden waren.

Schätzungsweise nochmal so viele Jüdinnen und Juden leben ohne Gemeindemitgliedschaft in Deutschland. Insgesamt stellen Juden also etwa 0,24 Prozent der Bevölkerung in Deutschland.

Rosch haSchana im jüdischen Kindergarten Berlin, Foto: Margrit Schmidt

Es gibt derzeit über 100 jüdische Gemeinden in ganz Deutschland. Zu den größten zählen Berlin, München und Frankfurt a.M. Die Gemeinden betreiben Sozial- und Kultureinrichtungen. Es gibt jüdische Kindergärten, jüdische Schulen und eine jüdische Hochschule, die allen, also auch Nichtjuden, offen stehen.

Kann man sagen, dass das jüdische Leben in Deutschland – wieder – blüht?

Vor 1933, also vor der Zeit des Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg, gab es in Deutschland etwa 500.000 Juden. Nur etwa 15.000 von ihnen lebten nach Ende des Krieges noch. Viele hatten rechtzeitig emigrieren können, aber sehr viele überlebten den Holocaust nicht.

Schon unmittelbar nach Ende des Krieges wurden in Deutschland neue jüdische Gemeinden gegründet. Neben den etwa 15.000 deutschen Juden, die überlebt hatten, gab es in ganz Deutschland sog. Displaced Person Camps, in denen viele Juden lebten. Diese DP-Camps beheimateten Menschen, die während des Krieges zwangsverschleppt wurden oder zu Zwangsarbeit verpflichtet. Nach Kriegsende befanden sie sich in Deutschland und konnten aus verschiedenen Gründen nicht in ihre Heimat zurück. Die meisten der jüdischen DPs wanderten in die USA oder nach Palästina aus, aber etwa 15.000 von ihnen blieben in Deutschland. Diese überwiegend aus Osteuropa stammenden Überlebenden des Holocaust gehörten mit den wenigen deutschen Juden, die überlebt hatten, zu den Neugründern der jüdischen Gemeinden nach 1945. 1950 gründeten die Gemeinden einen Dachverband, der sie vertritt, den Zentralrat der Juden in Deutschland.

Das jüdische Leben war aber in Deutschland keine Selbstverständlichkeit, am wenigsten für die Jüdinnen und Juden selbst, die sich entschlossen, in Deutschland zu bleiben. Viele sahen darin nur eine Übergangslösung, sie saßen buchstäblich auf „gepackten Koffern“. Dieses Bild wird oft herangezogen, um zu erklären, wie sich Jüdinnen und Juden in Deutschland fühlen. Erst mit den Jahren, mit dem Heranwachsen einer zweiten und dritten Generation nach dem Holocaust, haben viele Juden „ihre Koffer endgültig ausgepackt“, das Leben in Deutschland wirklich akzeptiert.

Eine große Veränderung brachte die Zuwanderung russischer Juden nach der Öffnung der Grenzen und dem Ende der Sowjetunion 1991. Über 200.000 der sog. Kontingentflüchtlinge kamen in der Folge in das mittlerweile wiedervereinigte Deutschland. Bis dahin gab es nur etwa 30.000 Jüdinnen und Juden in (West-)Deutschland. Die Zuwanderung sorgte dafür, dass die Gemeinden sich füllten und viele neue gegründet wurden. Heute stellen die aus der ehemaligen Sowjetunion stammenden Jüdinnen und Juden und ihre Nachkommen etwa 90% der Gemeinden.

Kann man also sagen, dass jüdisches Leben wieder blüht?

Auf jeden Fall! Aber jüdisches Leben ist weiterhin nicht selbstverständlich hier und junge Jüdinnen und Juden entscheiden sich oft, Deutschland zu verlassen, ihre Koffer doch noch zu packen und beispielsweise nach Israel zu gehen. Dennoch, das jüdische Leben in Deutschland ist heute so vielfältig wie es nie zuvor war und aus Deutschland nicht mehr wegzzudenken.