Was tun gegen Antisemitismus?

Es gibt vieles, das Ihr selbst gegen Antisemitismus tun können. Bringt Euch damit aber bitte nicht in Gefahr! Hier einige Tipps für den Alltag:

  • Wer Courage hat, soll es zeigen
  • Grundlegende Gedanken zum Rassismus
  • Wenn du selber bedroht oder angegriffen wirst
  • Richtiges Verhalten in Bedrohungssituationen
  • Was du tun kannst
  • Rassismus in der Öffentlichkeit bekämpfen

Wer Courage hat, soll es zeigen!

Was ich, du und wir im Alltag gegen Gewalt und Rassismus tun können

Gewalt und rassistische Übergriffe finden tagtäglich in der Schule, am Arbeitsplatz, auf der Straße, in der Bahn, in der Kneipe usw. statt. Viele Menschen reagieren verunsichert und schauen oder hören einfach weg. Sie merken kaum, dass sie damit selbst ein Klima von Gewalt fördern und verstärken.

Im Umgang mit Gewalt und Rassismus liegen heute viele positive Erfahrungen vor, die zeigen können, wie Gewalttäter/innen und Rassist/innen in die Schranken verwiesen werden können. Sie zeigen, was du und ich tun können, damit Gewalt und Rassismus erst gar nicht entsteht.

Weil Gewalttäter/innen und Rassist/innen es überhaupt nicht mögen, wenn sie und ihre Taten und Sprüche in die Öffentlichkeit gebracht werden, macht es Sinn, sie öffentlich zur Rede zu stellen und zur Rechenschaft zu ziehen. Oft versuchen sie uns lachend, mit ihren blöden Sprüchen und erniedrigenden Witzen, auf ihre Seite zu ziehen; meistens vertrauen sie darauf, dass ihnen keiner widerspricht oder wir ihnen keinen Widerstand entgegensetzten.

Einige grundsätzliche Gedanken:

Verwende keine Abwehrwaffen oder -geräte. Alle bisherigen Erfahrungen deuten darauf hin, dass die damit von dir ausgehenden Signale die Wut und die Gewalt der Angreifer/innen verstärken oder sogar scheinbar legitimieren. Außerdem wirst du nie sicher sein können, dass sich deine Waffe nicht plötzlich gegen dich selber richtet. Als Alternative gibt es Signalgeräte wie z.B. Trillerpfeifen oder kleine Alarmgeräte: Damit kannst du Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit herstellen und Täter/innen für eine erste Schrecksekunde stoppen. Auch einfache (billige) Fotoapparate (mit Blitzlicht) haben aus sicherer Entfernung eine erhebliche Störwirkung. Gewalttäter/innen schrecken oft von ihrem Vorhaben zurück, wenn sie Angst haben müssen, wiedererkannt zu werden.

Es gibt keine richtigen Rezepte, Tipps oder Verhaltensregeln. Jede Situation ist zuerst einmal abhängig von dir selber und deinen Fähigkeiten. Von daher empfehlen wir dir die Teilnahme an einem Gewalt- oder Rassismus- Deeskalationstraining*. Dort lernst du deine Möglichkeiten und Fähigkeiten (dir selber oder anderen zu helfen) zu entwickeln, sie selbstsicher und wirkungsvoller einzusetzen.

Was du tun kannst:

In der Öffentlichkeit

Mach den Mund auf, wenn du Zeuge von rassistischen Beschimpfungen und erniedrigenden Witzen wirst. Widerspreche laut und deutlich. Laß nicht zu, dass im Gespräch über Ausländer/innen oder Flüchtlinge eine verhetzende Sprache gebraucht wird. Weise darauf hin, dass niemand ohne Not seine Heimat verlässt und die Fluchtursachen sehr vielfältig sind.

Laßt Leute aus Zuwandererfamilien und Flüchtlinge zu Wort kommen und schafft Gelegenheiten, in denen Deutsche und solche Leute sich begegnen und verständigen können.

Wende dich mit Leserbriefen in der Zeitung gegen rassistische Aktionen und diskriminierende Berichterstattungen. Setz dich in solchen Briefen für ein Zusammenleben der Bevölkerung ein.

Fordere die Abgeordneten deines Wahlkreises auf, sich eindeutig gegen Gewalt und Rassismus zu wenden. Politiker/innen haben Vorbildfunktion. Frage sie nach ihrer Haltung zu diesem Problem!

Wende dich an die Medien, wenn diese eine Sprache oder Bilder verwenden, die Diskriminierung fördern, erzeugen oder billigen.

Nimm die Ängste und Probleme, die Menschen in deiner Nähe mit „Ausländer/innen“ haben, ernst und respektiere sie. Greife die Ängste und Probleme auf und versuche, sie mit Sachargumenten zu entkräften. Jemand, der Angst, Bedenken oder Probleme hat, ist noch lange kein Rassist.

Stelle Strafanzeige bei der Polizei, wenn du mitbekommst, dass in deiner Umgebung rechtsextremistische Lieder, Computerspiele, Zeitschriften, Propaganda usw. kursieren. Informiere über deine Beobachtungen die verantwortlichen Parteien und Politiker/innen in deiner Stadt und frage nach, was sie unternehmen werden.

Bei Schlägereien

Wenn Kinder, Jugendliche oder Erwachsene sich schlagen, schlage Alarm, mach Krach, stell Öffentlichkeit (aus sicherer Entfernung) her. Mach andere auf die Schlägerei aufmerksam und schick sie los, um Hilfe oder die Polizei zu holen.

Gewalttäter/innen haben Angst wiedererkannt und zur Rechenschaft gezogen zu werden. Also sprich sie direkt an (wenn Du einen Namen gehört hast) oder benenne deutliche Wiedererkennungsmerkmale: „Du mit der Stirnglatze, wir kennen dich, -hör auf … wir haben schon die Polizei angerufen …“

Viele Kinder und Jugendlichen behaupten, zur Rede gestellt, „alles wäre nur ein Spaß“ gewesen. Sie werden schnell nachdenklich, wenn du die vorausgegangene „Gewalt“ beim Namen nennen kannst: „Dann lass mal deinen Arm sehen, den roten Fleck (die blutende Lippe, das blaue Auge, die zerrissene Hose usw.), nennst du das einen Spaß? Ich nenne das Körperverletzung … (und schon bist du in der Offensive).

In der Bahn, im Bus

In der Bahn, im Bus usw. wird jemand angegriffen, erniedrigt, verletzt. Die Mitfahrenden sind schockiert oder eingeschüchtert, sie wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen. Folgendes kannst du tun:

Du kannst den/die Fahrer/in auffordern, die Polizei zu rufen. Er/sie ist verpflichtet, dies zu tun. Sonst kann er/sie wegen unterlassener Hilfeleistung belangt werden.

Wenn du nicht direkt zum/zur Fahrer/in gelangen kannst, kannst du diejenigen, die vorne sitzen, laut anschreien: „Der Fahrer soll die Polizei informieren.“

Du kannst andere Mitfahrende auffordern, mit dir laut zu pfeifen und zu rufen. „Hört auf, hört auf!“ Anfangs machen dabei wenige, dann i. d. R. immer mehr mit. Jetzt wird die Situation für Gewalttäter/innen riskant, weil sie unüberschaubar und unberechenbar ist. Sie scheuen das Risiko und versuchen wahrscheinlich sich vom Ort des Geschehens zu entfernen.

Je nach Sachlage und Situation kannst du auch den/die Fahrer/in auffordern, die Türen abzusperren, so dass sich die Täter/innen nicht entfernen können, bis die Polizei ankommt.

Es ist wichtig, möglichst viele Mitfahrende direkt anzusprechen und in die Verantwortung zu nehmen – um so stärker ist die Wirkung gegenüber den Angreifer/innen!

In der Fußgängerzone

Laß dich in rassistischen oder gewalttätigen Situationen nicht provozieren! Gewalt entsteht oft, weil ein Wort das andere gibt.

Duze die Angreifer/in nicht. Andere Passanten könnten leicht einen rein privaten Konflikt vermuten.

Übernimm die „Regie“, sprich andere Anwesende direkt und persönlich an: „Hallo, Sie da im grünen Mantel, bitte helfen Sie mir, rufen sie sofort die Polizei!“ Wenn diese/r Passant/in darauf reagiert, dann ist meist der Knoten geplatzt und der sogenannte Schneeballeffekt tritt ein. Jetzt kannst Du auch andere Passant/innen aktivieren. Für die Randalierer/innen wird jetzt die Situation schwierig. Sie sind überrascht, denn bisher war ihre Erfahrung, dass die Menschen gleichgültig oder verschüchtert reagieren.

Wichtig: Eine Anzeige bildet erfahrungsgemäß den besten Schutz vor erneuten rassistischen Gewalttaten, da die Täter/innen durch polizeiliche Ermittlungen und Gerichtsverfahren erhebliche Unannehmlichkeiten zu befürchten haben. Gewalttäter/innen müssen wissen, dass sie für ihre Untaten zur Rechenschaft gezogen werden. Die Polizei ist rund um die Uhr da: am schnellsten über den Notruf 110.

In deiner Stadt oder Gemeinde

Trete dafür ein, dass das Thema „Verständigung mit Minderheiten“ in den Bereichen Kinder- und Jugendarbeit, Schule, Kultur, Theater, Museen und Konzerte eingebunden und berücksichtigt wird.

Frage die Vereine (am besten schriftlich), wie viele Leute aus Zuwandererfamilien und Flüchtlinge bei ihnen Mitglied sind.

Versuche bei öffentlichen Veranstaltungen, Personen aus der Wirtschaft, Gewerkschaft, Kultur, Wissenschaft, Kirche, Initiativen, Stadt und Politik an einen „Runden Tisch“ zu bekommen.

Organisiere Veranstaltungen, insbesondere zum Tag des Flüchtlings (Freitag, letzte Septemberwoche), Tag der Menschenrechte (10.12) oder zum Internationalen Antirassismustag (21.3.).

In der Nachbarschaft

Sorge alleine oder mit anderen dafür, dass rassistische Parolen an Brücken, Mauern usw. beseitigt (oder verändert) werden. (So kann z.B. aus „Ausländer raus“ leicht „Deutsche und Ausländer raus zum 1. Mai“ o.ä. werden).

Frage schriftlich bei der Polizei an, was sie gegen rassistische Parolen unternimmt.

Eröffne Leuten aus Zuwandererfamilien und Flüchtlingen Treffpunkte (z.B. im kirchlichen Gemeindehaus, im Kulturzentrum, im Sport-Cafe usw.).

Unterstütze die Selbstorganisationen von Flüchtlingen und von Leuten aus Zuwandererfamilien.

Im Kindergarten und in der Schule

Frage Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer, wie sie sich für Verständigung einsetzen und was sie gegen Gewalt und Rassismus unternehmen. Gleiches gilt für Elternbeiräte, Klassenpflegschaften, Schulkonferenzen und SV‘en. Meistens macht es Sinn, die Anfrage schriftlich zu stellen und später nachzuhaken.

Überprüft eure Beteiligung an dem Projekt „Schule Ohne Rassismus“.

Fragt nach (und gebt Hinweise), ob Gewalt- und Rassismus- Deeskalationstrainings durchgeführt und angeboten werden.

In der Religion

Feiert all eure Feste mit Angehörigen anderer Religionen und ladet sie dazu ein. Laßt euch selber zu Festtagen anderer Religionen einladen, betone dabei das Gemeinsame und den Respekt vor dem anderen.

Bitte den Vorstand deiner Kirche oder Religionsgemeinschaft, den anderen Gemeinschaften zu deren Festen einen Brief mit Gratulation zu schreiben; mach es mit Deiner Gruppe selber.

Nehmt Kinder und Jugendliche aus Flüchtlings- und Zuwandererfamilien mit in Eure Ferienprojekte und Gruppen. Bietet ihnen Raum für Freizeit und ehrenamtliches Engagement.

Wenn du selber bedroht oder angegriffen wirst:

Vorbereiten!

Bereite dich auf mögliche Bedrohungssituationen seelisch vor: Spiel Situationen für dich allein und im Gespräch mit anderen durch. Werde dir grundsätzlich klar darüber, zu welchem persönlichen Risiko du bereit bist. Es ist besser, sofort die Polizei zu alarmieren und Hilfe herbeizuholen als sich nicht für oder gegen das Eingreifen entscheiden zu können und gar nichts zu tun.

Ruhig bleiben!

Panik und Hektik vermeiden und möglichst keine hastigen Bewegungen machen, die reflexartige Reaktionen herausfordern könnten. Wenn ich „in mir ruhe“, bin ich kreativer in meinen Handlungen und wirke meist auch auf andere Beteiligte beruhigend!

Aktiv werden!

Wichtig ist, sich von der Angst nicht lähmen zu lassen. Eine Kleinigkeit zu tun ist besser, als über große Heldentaten nachzudenken. Wenn du Zeuge/in von Gewalt bist: Zeig, daß du bereit bist, gemäß deinen Möglichkeiten einzugreifen. Ein einziger Schritt, ein kurzes Ansprechen, jede Aktion verändert die Situation und kann andere dazu anregen, ihrerseits einzugreifen.

Geh aus der dir zugewiesenen Opferrolle!

Wenn du angegriffen wirst: Flehe nicht und verhalte dich nicht unterwürfig. Sei dir über deine Prioritäten im klaren und zeige deutlich, was du willst. Ergreif die Initiative, um die Situation in deinem Sinne zu prägen: Schreib dein eigenes Drehbuch!

Halte den Kontakt zum/r Angreifer/in!

Stelle Blickkontakt her und versuche, Kommunikation herzustellen bzw. aufrechtzuerhalten.

Reden und zuhören!

Teile das Offensichtliche mit, sprich ruhig, laut und deutlich. Hör zu, was dein/e Gegner/in bzw. Angreifer/in sagt. Aus seinen/ihren Antworten kannst du deine nächsten Schritte ableiten.

Nicht drohen oder beleidigen!

Mach keine geringschätzigen Äußerungen über den/die Angreifer/in. Versuche nicht, ihn/sie einzuschüchtern, ihm/ihr zu drohen oder Angst zu machen. Kritisier das Verhalten, aber werte ihn/sie persönlich nicht ab (Klar in der Sprache – mäßigend im Ton).

Hole dir Hilfe!

Sprich nicht eine anonyme Masse an, sondern einzelne Personen. Dies gilt sowohl für Opfer als auch für Zuschauer/innen. Sie sind bereit zu helfen, wenn jemand anderes den ersten Schritt macht oder sie persönlich angesprochen werden.

Tu das Unerwartete!

Fall aus der Rolle, sei kreativ und nutz den Überraschungseffekt zu deinem Vorteil aus.

Vermeide möglichst jeden Körperkontakt!

Wenn du jemandem zu Hilfe kommst, vermeide es möglichst, den/die Angreifer/in anzufassen, es sei denn, ihr seid in der Überzahl, so daß ihr jemanden beruhigend festhalten könnt. Körperkontakt ist in der Regel eine Grenzüberschreitung, die zu weiterer Gewalt führen kann. Wenn nötig, nimm lieber direkten Kontakt zum Opfer auf.

Aktives gewaltfreies Verhalten ist erlernbar!

Indem wir uns unsere Ängste und Handlungsgrenzen bewußt machen, erfahren wir gleichzeitig auch mehr über den Bereich, der zwischen diesen Grenzen liegt. Oft unterschätzen wir die Vielfalt unserer Möglichkeiten. In Rollenspielen und konkreten Übungen zum Umfang mit direkter Gewalt können wir neue kreative Antworten auf Konfliktsituationen entdecken. Gewalt- und Rassismus- Deeskalationstrainings* bieten uns die Chance, bisher ungewohntes Verhalten auszuprobieren, einzuüben und auf seine Wirkungen hin zu überprüfen.

*Eskalation ist die stufenweise Steigerung und Verschärfung vorhandener Mittel (z.B. Gewalt), um ein Ziel zu erreichen. Dieser Begriff wird häufig im militärischen und politischen Bereich verwendet, wenn es um Gewalt geht. Deeskalation bezeichnet exakt das Gegenteil.

Deeskalations-Trainings bietet an: SOS-Rassismus-NRW. Dort kann ein ausführliches Info und ein Trainer/innen-Verzeichnis bestellt werden.

Shirin Pargas + Sabine Schlüter
Villigster Deeskalationsteam Gewalt und Rassismus

www.sos-rassismus-nrw.de

 

Linktipps zum Thema:

Stop Antisemitismus – Antisemitische Zitate und wie man darauf reagieren kann
Das können Sie gegen Antisemitismus tun – Eine Zusammenstellung der Amadeu Antonio Stiftung