Was ist jüdisch daran?

Wir haben etwas über jüdisches Leben in Deutschland gehört, über Sichtweisen und Einstellungen im Judentum zu ethischen und gesellschaftlichen Fragen. Aber was genau macht etwas jüdisch?

Kann man jüdisch aussehen? Nein, das kann man auf jeden Fall nicht. Da kommt man sehr schnell bei alten antisemitischen Vorurteilen an, dass Juden lange Nasen und krause Haare haben. Das ist natürlich Quatsch, es gibt blonde, braun-, schwarz-, rothaarige Jüdinnen und Juden, große und kleine, dicke und dünne, mit heller und dunkler Hautfarbe, mit langen und kurzen Nasen. Es gibt kein jüdisches Aussehen!

Und was ist mit anderen Bereichen? Gibt es jüdisches Essen? Jüdische Kunst und Musik?

Das ist eine sehr komplizierte Frage und wir wollen hier ein paar Antworten versuchen.

Jüdisches Essen

Was ist jüdisches Essen? Gefillte Fisch, Challa und Tscholent ? Oder Schakschuka, Tabule und Kube?

Es kommt ganz darauf an, wen Du fragst. Jüdinnen und Juden haben ganz unterschiedliche Esstraditionen, die immer sehr stark davon beeinflusst sind, wo sie leben. Es gibt eine jüdisch-europäische Küche, die in Italien anders ist als in Polen, es gibt die jüdische Küche der nordafrikanischen Juden, die in Marokko anders ist als in Ägypten, es gibt die Küche der jemenitischen und äthiopischen Juden und noch viele mehr. Allen gemeinsam ist, dass sie die Gebote der Kaschrut beachten, also die jüdischen Speisevorschriften.

Grob unterscheiden lassen sich die aschkenasische und die sephardische bzw. misrachi Küche. Also die Gerichte der Juden aus Mittel- und Osteuropa und der Juden aus dem Mittelmeerraum, Nordafrika und anderen arabischen Ländern.

Für die aschkenasische Küche typisch und am besten bekannt ist die Challa. Das ist ein Hefezopf, der am Freitag gebacken wird und beim Segnen des Schabbat am Abend genutzt wird. Die Challa ist eigentlich ganz einfach zu backen, es braucht nur ein wenig Geduld.

Willst Du es einmal versuchen? Hier findest Du unser Challa Rezept! Gutes Gelingen!

Typische Gerichte der aschkenasischen Küche sind der Tscholent, ein Eintopf, der die ganze Nacht kocht und am Schabbat gegessen wird, Hühnersuppe, gehackte Leber, Zimmes, ein Karotten-Salat, und natürlich Rogelach, kleine Schokoladenhörnchen und Apfelkuchen.

Die sephardische bzw. misrachi Küche beinhaltet viel Reis, Couscous, Hülsenfrüchte und Nüsse. Typische Gerichte sind Couscous mit Gemüse und Fleisch, gefülltes Gemüse, Kube, mit Fleisch gefüllter und ausgebackener Burgul und die Süßspeisen Baklawa und Malabi.

Für die einen ist das aschkenasische Essen zu langweilig, für die anderen das sephardische Essen zu scharf. Zumindest sorgt dieser Vergleich der beiden Kochtraditionen für viel Gelächter auf allen Seiten:

Wirklich spannend ist, dass in Israel alle diese Einflüsse zusammen kommen und dort eine ganz eigene Tradition gebildet haben. In Israel wird viel frisches Obst und Gemüse gegessen, Hummus (im Foto) und Falafel sind die beliebtesten Schnellimbisse, die im übrigen auch noch gesund sind. Ansonsten findet sich etwas für jeden Geschmack.

Das ist die sehr lange Antwort auf die Frage, was jüdisches Essen ist.
BeTeawon – Guten Appetit!

Jüdische Musik und Kunst

Noch ein bisschen schwieriger ist die Frage zu beantworten, was jüdische Musik und jüdische Kunst sind. Wird Musik jüdisch, nur weil ein Jude sie spielt? Bleibt die Musik jüdisch, wenn Nicht-Juden sie spielen? Was ist jüdisch an Kunst, die keinerlei jüdische Motive hat? Bleibt sie jüdisch, weil die Künstlerin oder der Künstler es sind?

Das sind Fragen, die seit Jahrhunderten diskutiert werden und auch wir werden hier keine eindeutige Antwort geben können. Aber es lohnt sich doch darüber nachzudenken.

Jüdische Musik ist zunächst einmal Musik für den religiösen Alltag und die Synagoge, also liturgische Musik.

Hier kannst Du das „Kol nidrei“ hören, das an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, gesungen wird:

Und ansonsten? Es gibt viele musikalische Werke, die sich mit jüdischer Identität auseinandersetzen. Sie greifen in Musik oder Text ein jüdisches Motiv oder eine jüdische Tradition auf. Das kann ganz deutlich sein oder aber nur schwer zu erkennen. Jüdische Musik gibt es in allen Musikrichtungen, von Volksmusik, klassischer Musik, über Jazz und Rock zu Pop, Reggae und mehr.

Ähnlich ist es mit jüdischer Kunst. Was macht Kunst jüdisch?

Ist etwa eine Synagoge, die ein Nicht-Jude gebaut hat, keine jüdische Kunst? Tatsächlich wurden früher die meisten Synagogen in Europa von Nicht-Juden gebaut, ganz einfach da Juden die entsprechenden Berufe verweigert wurden. Und auch heute gibt es wunderschöne Synagogen, die von Nicht-Juden erbaut wurden. So zum Beispiel die Cymbalista Synagoge in Tel Aviv des Schweizer Architekten Mario Botta. Sie gehört heute zu den berühmtesten architektonischen Kunstwerken im Bereich des Synagogenbaus weltweit. Sollte sie zur jüdischen Kunst gezählt werden? Was meinst Du?

Im Innenraum der Cymbalista Synagoge

Die Synagoge wird zur jüdischen Kunst gezählt, man orientiert sich in diesem Fall am Zweck, nicht an der Religionszugehörigkeit des Architekten. Eindeutig ist auch jüdische Kunst, die man in der Synagoge sieht, als solche zu benennen, also Ritualgegenstände und Illustrationen in religiösen Schriften, wie etwa der Haggada für Pessach.

Eine Illustration aus der Zweiten Nürnberger Haggada, 15. Jhrdt.u.Z.

Und wie ist es mit moderner Kunst? Wird ein Gemälde jüdisch, nur weil es die Malerin oder der Maler war? Und anders herum, schafft ein Künstler jüdische Kunst, nur aufgrund seiner Religion? Und was ist mit jüdischen Künstlerinnen und Künstlern, die ihr Judentum nicht weiter leben? Du siehst, das sind schwierige Fragen, vielleicht kann man sie am besten beantworten, wenn man sich einige Beispiele ansieht.

Camille Pissaro, L’Hermitage à Pontoise, 1867

Einer der berühmtesten Vertreter des Impressionismus ist Camille Pissaro (1830-1903). Er stammte aus einer jüdischen Familie mit Wurzeln in Portugal und Spanien. Pissaro malte Landschaften, Orte, Straßenzüge, aber das Judentum spiegelt sich in keinem seiner Werke. Pissaro war Jude, schuf aber keine jüdische Kunst.

Anselm Kiefer ist einer der bekanntesten zeitgenössischen deutschen Künstler. Er hat sich viel mit der deutschen Vergangenheit beschäftigt und interessiert sich auch für jüdische Religion. Einige von Kiefers Werken setzen sich mit jüdischer Mystik auseinander. Er bedient sich aber lediglich jüdischer Motive, dennoch ist Anselm Kiefers Werk keine jüdische Kunst.

Es gibt natürlich sehr viele jüdische Künstlerinnen und Künstler, die auch jüdische Kunst schaffen. Einer der berühmtesten unter ihnen ist Marc Chagall. Seine farbenfrohen Bilder sind voller jüdischer Motive und Anspielungen.

Jüdische Kunst hat in jedem Fall viele Gesichter. Erinnerst Du Dich an das Bild vom Anfang? Wir haben das Judentum mit einem Rucksack verglichen, der eine ganze Menge an jüdischem Erbe und Familiengeschichte enthält. Jüdische Kunst schöpft aus diesem Rucksack, aus den Gefühlen und Erinnerungen, die darin enthalten sind. Manchmal können wir das Jüdische nicht unmittelbar erkennen, weil es vielleicht nur eine bestimmte Erfahrung ist, die wir selbst nicht geteilt haben. Aber das macht es umso interessanter.

Willst Du mehr jüdische Kunst sehen? Das Institut für jüdische Kunst an der Hebräischen Universität Jerusalem hat die weltweit größte Datenbank für jüdische Kunst online gestellt.