Levi und die Pessachfrage

Von Ramona Ambs

Wenn Levi vor anderen Leuten etwas sagen soll, ist er immer ganz furchtbar aufgeregt, weil ihn alle anschauen und das macht ihn nervös. Heute Abend soll er etwas aufsagen. Es ist nämlich der erste Sederabend von Pessach und Mama hat gesagt, er sei jetzt alt genug die Fragen zu stellen und deswegen hat er die letzten Wochen fleißig alle Fragen auswendig geübt und seine große Schwester Lea hat ihn abgehört.

Er weiß dass er mit „Ma Nischtana ha Leila hase?“ beginnen muss und dass er später noch einige Fragen auf deutsch stellen soll. Eigentlich kennt er alle Fragen und er hat ja auch die letzten Jahre an Pessach gehört, wie Lea das gemacht hat, aber trotzdem hat er vor lauter Aufregung ein Kribbeln im Bauch.

Gestern schon sind Tante Rivka, Oma und Opa gekommen und heute Abend wird noch die alte Frau Süßmann, eine Bekannte, kommen. Levi läuft in seinem Zimmer hin und her und wiederholt die ganze Zeit „Ma Nischtana ha Leila hase“ und weiß gar nicht, womit er sich jetzt noch ablenken könnte.

„He, Zuzik!“ ruft eine Stimme. Opa guckt durch die Tür. Sein Opa nennt ihn immer Zuzik. „Komm mal mit!“ raunt ihm Opa zu und macht eine geheimnisvolle Handbewegung. Levi schleicht mit Opa hinaus. Draußen sagt Opa: „Oma hat schlechte Laune, weil ihr das Charrosset misslungen ist und wie immer wenn Oma was nicht gelingt, bin ich schuld!“ Er lacht. „Wir sollten uns also lieber noch ein bisschen die Beine vertreten und möglichst erst zum Seder wieder zurück sein!“

So laufen sie ein bisschen die Straße auf und ab und unterhalten sich, bis sie von Mama aus dem Fenster gerufen werden. Frau Süßmann ist inzwischen da und sitzt am Tisch. Die Sederteller sind perfekt und Papa fordert alle auf sich hinzusetzen. Nachdem alle sitzen, eröffnet Papa den Seder. Als er von der Mazze ein Stück abbricht und als Afikoman beiseite legt, kann Levi vor Aufregung gar nicht mehr denken. Endlich wird der zweite Becher Wein eingeschenkt.

Jetzt ist Levi dran. Alle schauen ihn an und Lea gibt ihm unter dem Tisch einen Tritt gegen sein Bein. Aber Levi kriegt keinen Ton raus wenn ihn alle so anstarren. Er versteckt sich unter dem Tisch. Hier fühlt er sich sicher und deshalb beginnt er sogleich seine Frage zu singen: „Ma Nischtana ha Leila hase mikol haejlot? Mikol halejlot?“ …und immer weiter singt er, laut und deutlich, aber er bleibt unter dem Tisch sitzen und kommt erst wieder hoch, als das Essen auf dem Tisch steht.

Und da schauen ihn wieder alle an, aber alle lächeln ihm zu und loben seine schöne Stimme. Und Levi fühlt sich plötzlich so mutig und frei wie noch nie zuvor!