Diaspora – das jüdische Volk im Exil

Der Begriff „Diaspora“ kommt aus dem Griechischen, genauer gesagt aus der griechischen Übersetzung des Tanach, und bedeutet „Zerstreuung“. Gemeint ist die Zerstreuung des jüdischen Volkes nach der Zerstörung des Tempels ins Exil. Heute wird der Begriff auch für andere ethnische oder religiöse Minderheiten genutzt, die fern von ihrem eigentlichen Herkunftsland leben.

In Bezug auf das jüdische Volk unterscheidet man zwischen den Jüdinnen und Juden in Israel und denen in der Diaspora. Damit sind alle Jüdinnen und Juden gemeint, die außerhalb Israels leben.

Diaspora hat auch einen bitteren Beigeschmack. Denn damit ist nicht nur die antike Geschichte verbunden, also die Zerstörung der beiden Tempel, sondern auch unsere Zeitgeschichte. Das Leben in der Diaspora wird oft so beschrieben, dass wir Jüdinnen und Juden „auf gepackten Koffern sitzen“. Können Jüdinnen und Juden in Deutschland, aber auch in Europa und der Welt, nach dem Nationalsozialismus überhaupt wieder ein gutes Gefühl haben? Oder müssen sie sich nicht vielmehr die Frage stellen: „Besteht möglicherweise Gefahr für das eigene Leben?“ Viele waren Anfang der 1930er Jahre zu lange zuversichtlich, dass ihnen schon nichts Schlimmes passieren würde – und dann war es zu spät. Der ‚gepackte Koffer‘ ist nun das symbolische Bild dafür, schnell verschwinden zu können, wenn es nötig werden sollte. Wen wundert´s?

Bei den gepackten Koffer geht es aber auch um die Heimkehr der Juden in das heilige Land. Das Land wurde und wird von Juden als Geschenk verstanden, das Gott seinem Volk Israel gemacht hat. Das Volk Israel aber muss sich der Überlieferung nach dieses Geschenks immer auch als würdig erweisen, zum Beispiel, indem es die Mizwot, die Ge- und Verbote Gottes besonders gut befolgt . Im Judentum wird es also eher als Privileg verstanden, im Land leben zu dürfen, das Gott ihnen gab. Juden, die nicht dort leben, leben der Überlieferung nach im Exil, in der Diaspora.

Zu vielen Zeiten gab es nun Verbannung (Exil; biblisch Galut) oder Zerstreuung (Diaspora) aus dem Gebiet. Die Diaspora, von der wir heute sprechen, ist jene, die auf die Zerstörung des zweiten Tempels und die Einnahme Jerusalems durch die Römer unter Titus zurückgeht. Dies geschah im Jüdischen Krieg, etwa 70 n.u.Z. Nur die westliche Mauer, heute als Kotel oder Klagemauer bekannt, blieb vom Tempel übrig. Zu dieser Zeit mussten viele Jüdinnen und Juden ihre zerstörte Heimat verlassen. Viele wurden versklavt und das Volk Israel erst einmal im gesamten römischen Reich verstreut. Bis heute leben Juden in der ganzen Welt zerstreut.

Die Klagemauer in Jerusalem

Nicht alle Juden sehen in der Gründung des Staates Israel das Ende der Diaspora. Noch nicht einmal in Israel selbst! Heute leben beispielsweise in Jerusalem viele ultraorthodoxe Juden, die Israel gar nicht anerkennen. Ihrer Überzeugung nach hat Gott erklärt, dass sich die Juden nicht selbst in dieses Land aufmachen dürfen, sondern nur der Messias sie zurück führen werde. Und der ist ja jüdischer Überzeugung nach noch nicht gekommen.

Es gibt aber auch religiöse Auslegungen, warum die Juden auch ohne Messias in das göttlich bestimmte Land ihrer Vorfahren zurückkehren sollen. Für die allermeisten Jüdinnen und Juden ist Israel schlicht endlich ein Staat, in dem es eine jüdische Mehrheitsgesellschaft gibt, wodurch sie endlich, endlich einen Ort haben, an dem sie willkommen und geschützt sind.

Es gibt viele Gründe für Jüdinnen und Juden, in der Diaspora zu bleiben. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, verstand sich als jemand, der die Koffer gepackt hatte. Mittlerweile sind diese, das sagt sie auch öffentlich, dauerhaft ausgepackt. Die Verbundenheit mit Israel bleibt, Jüdinnen und Juden sehen Israel als eine Art „Lebensversicherung“, gerade aufgrund des immer wieder aufflammenden Antisemitismus.

Was meint ihr? Müssen Juden noch einen gepackten Koffer im Schrank haben?