Der religiöse Alltag

Religiöse Juden beginnen ihren Tag damit, den Tallit, den Gebetsschal, und Tefillin anzulegen. Tefillin sind die Gebetsriemen, die in einer bestimmten Weise an die Stirn und um den Arm gebunden werden. So wird das Morgengebet gesprochen.

Vater und Sohn mit Tefilin, Foto: יעקב wikicommons

Gebete werden dreimal täglich gesprochen, morgens, am Nachmittag und nach Sonnenuntergang. Frauen sind im orthodoxen Judentum von dieser Pflicht befreit und sprechen nur einen kurzen Dank morgens nach dem Aufstehen. Im progressiven Judentum haben alle die gleichen Rechte und Pflichten. So gibt es auch Frauen, die den Gebetsschal und Tefillin anlegen.

Schma Israel

Eines der wichtigsten Gebete, das auch im Morgen- und Abendgebet gesprochen wird, ist das „Schma Israel“. Es wird auch als jüdisches Glaubensbekenntnis bezeichnet. Um es zu sprechen, bedeckt man mit der rechten Hand die Augen und spricht das Gebet, das mit diesen Zeilen beginnt:

שְׁמַע יִשְׂרָאֵל יְהוָה אֱלֹהֵינוּ יְהוָה אֶחָֽד
Schma Israel, Adonaj eloheina, Adonaj echad
Höre Israel, der Ewige ist unser Gott, der Ewige ist einzig.

Die Gebete müssen nicht unbedingt in der Synagoge stattfinden. Überhaupt spielt sich im Judentum ein wichtiger Teil des religiösen Alltags zuhause ab.

Das liegt an den Geboten, über die ihr schon gelesen habt. Viele davon betreffen den Alltag, den jüdischen Haushalt. Bestes Beispiel sind die Gebote der Kaschrut.

Kaschrut

Damit sind die jüdischen Speisevorschriften gemeint. Religiöse Jüdinnen und Juden essen ausschließlich koscher. In der Tora ist genau festgelegt, wann Speisen koscher, also „rein“, sind, was man essen darf und was nicht.

Dazu gehört zunächst einmal, dass nur bestimmte Tiere verzehrt werden dürfen, Schweinefleisch und Meeresfrüchte gehören nicht dazu. Das Fleisch muss außerdem rituell geschlachtet werden, das nennt man schächten. Das Schächten nimmt ein speziell dafür Ausgebildeter vor, der darauf achtet, dass das Tier möglichst wenig leidet und nach der Schlachtung komplett ausblutet. Der Verzehr von Blut ist nicht koscher.

Außerdem essen Jüdinnen und Juden keine Milchprodukte gemeinsam mit Fleisch, also keine Butter auf das Steak oder eine Rahmsoße für das Geschnetzelte. Deswegen sind koschere Lebensmittel mit einem Stempel des Rabbinats, das die Kaschrut überwacht, auch in milchig oder fleischig unterteilt. Nicht immer hat man ja alle Inhaltsstoffe im Blick. So weiß man dann sicher, dass man milchig und fleischig nicht aus Versehen vermischt.

Schabbat

Es gibt die Aussage, dass der Messias, auf den Jüdinnen und Juden noch immer warten, dann kommen wird, wenn die ganze Welt einmal den Schabbat einhält. Das ist eine ganz erstaunliche Überzeugung, aus mehreren Gründen. Sie zeigt einmal, wie wichtig der Schabbat im Judentum ist. Und sie zeigt auch, dass es offensichtlich gar nicht so einfach ist, den Schabbat einzuhalten.

Der Schabbat beginnt am Freitag Abend mit Sonnenuntergang und dauert bis Sonnenuntergang am Samstag. Es ist der siebte Tag im jüdischen Wochenzyklus, der sich nach der Erzählung über die Schöpfung im ersten Buch der Tora, im Buch Bereschit, richtet.

Nachdem Gott sechs Tagen lang die Welt erschuf, Himmel und Erde, Tiere und Menschen, ruhte er am siebten Tag: „Und Gott vollendete am siebten Tag sein Werk, das er gemacht, und er ruhte am siebenten Tat von all seinem Werk, das er gemacht. Da segnete Gott den siebenten Tag und heiligte ihn; denn an ihm ruhte er von all seinem Werk, das Gott zu wirken geschaffen.“

Der Schabbat beginnt im Kreis der Familie. Kurz vor Sonnenuntergang zündet eine der Frauen im Haus die beiden Schabbat Kerzen und sagt den dazugehörigen Segensspruch. Das Familienoberhaupt spricht den Segen über Wein und Brot. Im Anschluss gibt es ein gemeinsames Festmahl.

Schabbat ist der siebte Tag, der Tag an dem wir ruhen sollen, an dem wir keinerlei Arbeit verrichten dürfen. Dazu zählt auch das Zubereiten von Speisen, kein Feuer machen, was heutzutage auch für das Anschalten von Licht gilt, keine elektrischen Geräte benutzen, nicht Auto fahren.

Streng religiös orthodoxe Jüdinnen und Juden essen am Schabbat Speisen, die sie schon am Tag zuvor zubereitet haben und behelfen sich mit Zeitschaltuhren oder bitten um die Hilfe eines Nicht-Juden.

In der Synagoge wird an Schabbat jede Woche ein Stück aus der Tora gelesen. So wird die gesamte Tora im Laufe des Jahres gelesen. Die einzelnen Abschnitte nennt man Wochenabschnitt, Paraschat haSchawua.

Auch die meisten von denjenigen Jüdinnen und Juden, die den Schabbat nicht ganz so streng einhalten, lassen die besondere Ruhe und die besondere Atmosphäre von Schabbat gerne auf sich wirken.

In Israel feiern die Kinder im Kindergarten am Freitag Vormittag einen kleinen Schabbat Empfang, einen Kabbalat Schabbat. Ein Junge und ein Mädchen werden ausgewählt, um den Schabbat symbolisch zu begrüßen, alle Kinder trinken ein kleines Glas Traubensaft und essen ein Stück Challah.

Wenn der Schabbat vorüber ist, wird noch einmal eine Kerze gezündet und ein Segen über Wein und Licht gesprochen. Das nennt man Hawdala, also „Trennung“ oder „Unterscheidung“. Die Hawdala hilft uns das Heilige, den Schabbat, vom Profanen, der restlichen Woche, zu unterscheiden. Nach der Hawdala wünschen wir uns am Samstag Abend: Eine gute Woche! Schawua tow!

Synagoge

Natürlich spielt auch die Synagoge eine wichtige Rolle im religiösen Alltag. Die Synagoge heißt auf Hebräisch Beit Knesset. Übersetzt bedeutet das „Haus der Versammlung“. Das ist tatsächlich der eigentliche Zweck einer Synagoge, ein Ort der Versammlung, um zum Gebet und zum gemeinsamen Lernen zusammen zu kommen. Die Synagoge ist nicht heilig wegen der Objekte, die in ihr stehen, und sie kann auch in jeder Art von Gebäude untergebracht sein. Das besondere jeder Synagoge ist ihre Gemeinde, die Menschen, die dort zusammenkommen und beten.

Für das gemeinsame Gebet braucht es einen Minjan, also zehn Männer im religionsmündigen Alter (über 13 Jahre alt). In Gemeinden des liberalen und konservativen Judentums gibt es einen egalitären Minjan, das bedeutet, dass Frauen und Männer gleichgestellt sind und gemeinsam zum Minjan zählen.

In der Synagoge tragen alle Männer und Jungen eine Kippa. Wer keine dabei hat, findet am Eingang immer ein kleines Körbchen mit Kippot. Eigentlich sollten Juden sie immer tragen, aber auf jeden Fall in der Synagoge. Diese Kopfbedeckung ist ein Zeichen für Demut vor Gott und auch eine Erinnerung daran, dass Gott immer über uns steht.

In jeder Synagoge gibt es den Tora-Schrein, nach Jerusalem ausgerichtet, in dem die Tora-Rollen aufbewahrt werden und die Bimah, ein Tisch, auf dem die Tora-Rollen zur Lesung ausgebreitet werden.

Während der Gebetszeiten kommen die Gläubigen in die Synagoge und verrichten ihre Gebete, jeder für sich.

Den gemeinsamen Gottesdienst leitet meist ein Rabbiner oder eine Rabbinerin. Die meisten Gemeinden haben auch einen Kantor oder eine Kantorin, also einen Vorbeter oder eine Vorbeterin. Sie leiten durch den Gottesdienst und unterstützen die Gemeinde mit ihrem Gesang.

Der Rabbiner oder die Rabbinerin hat noch viele weitere Aufgaben in der Gemeinde, wie zum Beispiel der Unterricht der Kinder. Sie werden auf ihre religiöse Volljährigkeit vorbereitet und müssen dazu so einiges lernen. Außerdem unterstützen Rabbiner und Rabbinerin ihre Gemeindemitglieder seelsorgerisch.

In diesem kleinen Film nimmt Euch Rabbiner Dr. Tom Kučera von der liberalen jüdischen Gemeinde Beth Shalom München mit in die Synagoge und zeigt Euch die Tora Rolle. Er wird begleitet von Kantor Nikola David:

Und wie wird man eigentlich Rabbinerin oder Rabbiner? Auch das erklärt Rabbiner Dr. Tom Kučera:

Mikwe

Die Mikwe ist ein rituelles Tauchbad, das der jüdischen Gemeinde angeschlossen ist. Sie dient der rituellen Reinigung zu bestimmten Zeiten. Die Mikwe dient nicht dazu, dass man sich dort wäscht, das dreimalige Untertauchen ist ein rein symbolischer Akt. Im orthodoxen Judentum nutzen Frauen die Mikwe nach ihrer Menstruation, Männer vor dem Schabbat und vor Beginn eines Feiertages. Im konservativen und liberalem Judentum wird die Mikwe im Alltag weniger genutzt, das Eintauchen wird aber in allen Strömungen des Judentums nach einer Konversion praktiziert.

Eine moderne Mikwe im Kibbutz Tirat Zwi, Israel, (c) Tamar Hayardeni

Zentralität Israels

Wir haben gesehen, dass das Judentum viel zuhause, aber auch in der Gemeinde und der Synagoge gelebt wird. Aber was hat Israel mit alledem zu tun?
Das Land Israel ist von großer Bedeutung für Jüdinnen und Juden. Auch wenn es über viele Jahrhunderte keinen jüdischen Staat gab, Jüdinnen und Juden haben ihre Hoffnung nie aufgegeben, dass sie in das versprochene Land zurückkehren können. Vieles von dieser Sehnsucht findet sich in Gebeten, die in Richtung Jerusalem ausgerichtet werden, und Ritualen, so dass Israel für den jüdischen Glauben sehr zentral ist.